Ausbildungsfremde Tätigkeiten, gekürzter Urlaub, Zukunftsangst – so sieht die Corona-Realität vieler Azubis aus

Duisburg, 25. August 2021

Die Corona-Pandemie hat offensichtlich zu deutlich mehr Verstößen gegen Mindeststandards in der beruflichen Ausbildung geführt. Das belegt die in Berlin vorgestellte Corona-Ausbildungsstudie der DGB-Jugend. Einen enormen Anstieg gab es demnach bei den sogenannten ausbildungsfremden Tätigkeiten, die Azubis erledigen müssen, obwohl sie nicht zu den Ausbildungsinhalten gehören. Selbst Kürzungen von Vergütung und Urlaub sind für Auszubildende keine Ausnahmen. Und: Mehr als ein Drittel der Befragten befürchtet, die Ausbildung nicht erfolgreich abschließen zu können, weil Ausbildungsinhalte nicht vermittelt wurden.

„Das sind alarmierende Ergebnisse“, sagt DGB-Jugendreferent Joscha Wagner, Die Arbeitgeber stünden auch in der Corona-Krise in der Pflicht, für eine gute Ausbildungsqualität zu sorgen und geltende Gesetze einzuhalten. „Um das zu gewährleisten brauchen wir mehr effektive und regelmäßige Kontrollen in den Ausbildungsbetrieben, sonst geht es immer stärker zulasten der Auszubildenden“, betonte Wagner.

Gegen die Zukunftsängste von Auszubildenden helfe nur mehr Sicherheit. „Unser Rezept gegen Zukunftsangst ist eine berufliche Perspektive. Wir fordern die unbefristete Übernahme nach der Ausbildung“, sagte Wagner. Zudem habe die Pandemie den digitalen Nachholbedarf an beruflichen Schulen einmal mehr deutlich gemacht, „und dafür sind weiterhin massive und unbürokratische Investitionen nötig, um endlich vorwärts zu kommen mit der nötigen technischen und personellen Ausstattung in beruflichen Schulen.“

Angesichts der dramatischen Lage auf dem Ausbildungsmarkt – 2020 wurden erstmals seit über 40 Jahren weniger als 500.000 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen – sagte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack: „Wir brauchen eine gesetzliche Ausbildungsgarantie – sie ist ein Muss für die nächste Bundesregierung, denn die Wirtschaft allein regelt es offensichtlich nicht. Nach der Pandemie droht ein eklatanter Fachkräftemangel, wenn nicht mehr ausgebildet wird. Ausbildung für Alle muss das Ziel sein. Jedem jungen Menschen, der eine Ausbildung sucht, muss der Weg in eine anerkannte vollqualifizierte Ausbildung garantiert werden. Und natürlich muss eine betriebliche Ausbildung dabei immer Vorrang haben.“

Gefördert werden solle dies durch einen solidarisch finanzierten Zukunftsfonds. „Alle Betriebe sollen einzahlen, und wer ausbildet, bekommt aus diesem Fonds einen finanziellen Ausgleich. Das ist ein notwendiger Anreiz dafür, dass sich wieder mehr Unternehmen in der dualen Ausbildung engagieren“, sagte die DGB-Vize.

Die Ergebnisse der Corona-Ausbildungsstudie zeigen deutliche Qualitätsprobleme in Berufsschulen und Betrieben auf. Fast alle Auszubildenden waren von Home-Schooling bzw. Distanzunterricht betroffen, mit der Qualität des Unterrichts in diesen Phasen sind mehr als die Hälfte der Befragten unzufrieden. 60 Prozent der Auszubildenden haben zumindest Teile der Ausbildung im Homeoffice absolviert. Dabei stand nur einem Drittel der Befragten „immer“ ein/-e Ausbilder/in zur Verfügung, obwohl die fortlaufende Betreuung im Berufsbildungsgesetz vorgeschrieben ist.

Die für die Ausbildung von zu Hause aus notwendigen Materialien und Geräte haben nur 35 Prozent der Befragten von ihren Betrieben zur Verfügung gestellt bekommen, jede bzw. jeder Fünfte bekam überhaupt keine Arbeits- und Lernmittel gestellt. „Gerade in Zeiten von Homeoffice und Homeschooling brauchen die Azubis ausreichend Unterstützung, alle Arbeitgeber_innen sollten Materialien und Geräte wie Laptops bereitstellen sowie Auszubildende durchgängig betreuen, um Ausbildungsinhalte auch jetzt erfolgreich zu vermitteln und den Lernerfolg nicht zu gefährden“, sagt Joscha Wagner.

Fast ein Drittel (30,1 Prozent) der befragten Auszubildenden sagt, dass sich die fachliche Qualität des Berufsschulunterrichts im Zuge der Pandemie verschlechtert hat. Ein schlechtes Zeugnis wird auch der digitalen Ausstattung der Berufsschulen ausgestellt: Mehr als die Hälfte der Auszubildenden (52,7 Prozent) bemängelt diese. Nur etwa ein Drittel (32,4 Prozent) der Befragten ist der Ansicht, dass sich diese Situation seit Beginn der Corona-Pandemie verbessert hat. Jede_r Zehnte (13,3 Prozent) stellte gar eine Verschlechterung fest.

Krisenbedingte Kürzungen der Ausbildungsvergütungen musste knapp jede/r Vierte (24,3 Prozent) Auszubildende in Kauf nehmen, obwohl dafür keine Rechtsgrundlage besteht. In kleinen Betrieben (fünf bis zehn Beschäftigte) waren das sogar 37,9 Prozent. Fast jede_r fünfte Auszubildende (18,7 Prozent) gab an, dass ihr oder ihm seit Beginn der Corona-Pandemie mindestens einmal der Urlaub gekürzt wurde, obwohl das nicht erlaubt ist. Bei der Mehrheit der Betroffenen (61,6 Prozent) ging es dabei um bis zu fünf Urlaubstage.

Fast ein Viertel der Auszubildenden muss „immer“ oder „häufig“ Tätigkeiten erledigen, die in der Ausbildung nicht vorgesehen sind. Der Anteil dieser sogenannten ausbildungsfremden Tätigkeiten hat sich mit der Pandemie sogar verdoppelt. Zudem ist die Berufsausbildung ein Lernverhältnis, kein klassisches Arbeitsverhältnis. Trotzdem wird mehr als die Hälfte der Auszubildenden (57,6 Prozent) „immer“ oder „häufig“ als volle Arbeitskraft eingesetzt, obwohl das nicht erlaubt ist. „Selbstverständlich ist es wichtig, dass Auszubildende mit zunehmender Ausbildungsdauer selbstständiger arbeiten und ihnen mehr Verantwortung übertragen wird. Wenn jedoch selbst im ersten Ausbildungsjahr fast die Hälfte der Auszubildenden angibt, immer oder häufig als volle Arbeitskraft eingesetzt zu werden, dürfte das viele von ihnen überfordern“, betonte Joscha Wagner.

Zudem zeigt die Befragung, dass ein Drittel der Auszubildenden (32,6 Prozent) „immer“ oder „häufig“ Überstunden machen muss; die meisten (fast 80 Prozent) wöchentlich bis zu fünf Stunden. Aber auch mehr als 20 Überstunden pro Woche kommen vor. Neben der Mehrarbeit sind auch sogenannte „Minusstunden“ in der Pandemie von Bedeutung: Ein Viertel (23,3 Prozent) der Befragten muss „Minusstunden“ ansammeln, wenn die Ausbildung aus betrieblichen Gründen ausfällt. Von diesen Auszubildenden müssen 83 Prozent die Minusstunden voll (55,2 Prozent) oder zumindest zum Teil (27 Prozent) nacharbeiten. „Weder Überstunden noch Minusstunden sind im Berufsbildungsgesetz vorgesehen. Die Ausbildungsinhalte müssen vielmehr in der vertraglichen Arbeitszeit vermittelt werden“, so Wagner.

Die repräsentative Befragung wurde vom Institut für sozialpädagogische Forschung Mainz (ISM) zwischen Februar und März 2021 durchgeführt. Befragt wurden 1035 Auszubildende,