Schieflagen am Übergang Schule-Ausbildung

Duisburg, 18. April 2021

Die Zahl der neuen Ausbildungsverträge wird in diesem Jahr noch einmal deutlich sinken: Das Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) aus Berlin schätzt, dass dieses Jahr nur noch rund 430.000 Ausbildungsverträge im dualen System unterschrieben werden könnten. Das sind fast 100.000 weniger als noch 2019 und 35.000 weniger als 2020. Es zeigt sich zudem, dass insbesondere der Anteil der Abiturient*innen im dualen System angestiegen ist, während Jugendliche mit Realschul- oder Hauptschulabschluss immer schlechtere Chancen haben, einen Ausbildungsplatz zu bekommen.

Es steht daher zu befürchten, dass diese Jugendlichen zukünftig noch schlechtere Chancen auf eine Ausbildung haben werden. Es braucht eine zeitnahe und grundlegende Reform des beruflichen Ausbildungssystems in Deutschland, um zu verhindern, dass ein größerer Teil der Jugendlichen zur »Generation Corona« wird.

Dies sind die Kernergebnisse der veröffentlichten Prognose „Kein Anschluss trotz Abschluss?! Benachteiligte Jugendliche am Übergang Schule – Ausbildung“. Danach wird sich die Zahl der Ausbildungsverträge im dualen System voraussichtlich noch stärker reduzieren. Ursächlich hierfür ist der deutlich längere zweite Lockdown, der voraussichtlich heute Nachmittag noch einmal verlängert werden wird. Bereits jetzt befürchtet jedes fünfte Unternehmen, die Pandemie nicht zu überstehen.

Obwohl der demografische Wandel die Chancen für Jugendliche mit mittlerem Schulabschluss sowie mit und ohne Hauptschulabschluss hätte verbessern sollen, sind die Übergangschancen für diese Jugendlichen sogar schlechter geworden. Stattdessen geht jedes Jahr rechnerisch mittlerweile die Hälfte des jeweiligen Abiturient*innenjahrgangs in duale oder schulische Ausbildungen über.

Vor gut zehn Jahren war es nur ein Drittel. Besonders davon profitiert hat das duale System: Die Übergangsquote der Abiturient*innen hat sich um 50 Prozent gegenüber dem Stand 2006 erhöht. Hätte es diesen starken Anstieg nicht gegeben, wäre die Zahl der Azubis im dualen System bereits in den letzten Jahren unter die Marke von 500.000 gerutscht. Hierbei dürfte das duale Studium eine wichtige Säule bilden.

Demgegenüber sinken nicht nur die Anteile von Jugendlichen mit Realschul- oder Hauptschulabschluss an den Azubis insgesamt, sondern auch im Verhältnis zur Zahl der Jugendlichen mit dem entsprechenden Schulabschluss. So fingen 2019 weniger als 47 Prozent der Jugendlichen mit Realschulabschluss eine duale Ausbildung an, das waren fast 10 Prozentpunkte weniger als noch 2012. Auch bei den Jugendlichen mit Hauptschulabschluss ist die Übergangsquote um 10 Prozentpunkte niedriger als 2012; phasenweise waren es sogar 15 Punkte.

Wenn die Chancen auf eine qualifizierende Ausbildung schlechter werden, dann müssen sich die Jugendlichen eine Alternative suchen, die es aber nur mit dem Übergangssystem gibt. Dementsprechend mündeten zeitweise fast doppelt so viele Jugendliche ohne Hauptschulabschluss in das Übergangssystem ein, als die Schule im entsprechenden Jahr verlassen haben. Bei denjenigen mit Hauptschulabschluss beträgt der Anteil zwei Drittel.

„Was auf den ersten Blick ganz gut gedacht ist, wird für die meisten Jugendlichen zur Sackgasse“, sagt Dr. Dieter Dohmen, Hauptautor der Studie. „Zwar gelingt einem kleinen Teil der spätere Übergang in qualifizierende Ausbildung. Für die meisten bleibt es aber ein Weg in gering qualifizierte Beschäftigung oder Arbeitslosigkeit.“

»Wenn jetzt die Zahl der Ausbildungsplätze weiter einbricht, dann verschlechtern sich die Ausbildungschancen für Jugendliche ohne Abitur«, resümiert Bildungsökonom Dohmen. »Wie jede Krise, trifft auch diese vor allem die schwachen. Jugendliche aus den unteren Schichten und/oder mit Migrationsgeschichte haben immer schlechtere Chancen auf eine bessere Zukunft.«

„Im dualen System spiegeln sich die allgemein steigenden Anforderungen der Arbeitswelt wider, die zwingend mit höheren Anforderungen an die Azubis einhergehen«, hält der FiBS-Direktor fest. „Gleichzeitig gibt es seit Jahrzehnten große Anteile der Schulabgänger, die mit diesen steigenden Anforderungen nicht gewachsen sind. Es ist, als wäre deren Fahrstuhl im Keller steckengeblieben.“

„Wir müssen unser Bildungssystem grundlegend und weitgehend umkrempeln“, fordert der Bildungsforscher. „Zum einen muss das Berufsbildungssystem übergreifend weiterentwickelt und an die veränderten Anforderungen angepasst werden. Da sich die Rolle des dualen Systems grundlegend verändern und nachhaltig verringern wird, braucht es vermehrt schulische Qualifizierungschancen. Dabei geht es nicht nur um Pflegekräfte oder Erzieher*innen, sondern auch um andere Bereiche. Wenn wir über einen Fachkräftemangel jammern, dann können wir nicht gleichzeitig ein Viertel bis ein Fünftel der hier aufgewachsenen Jugendlichen chancenlos daneben stehen lassen – und dann im nächsten Schritt nach vermehrter Zuwanderung rufen, um die entstandene Lücke zu schließen.“